"48" lautet der griffige Titel von Ina Müllers neuer Platte. Genau so viele Lenze weilt die sympathische "Fachfrau für SSS, Saufen, Singen, Sabbeln" mittlerweile auf unserem Planeten. Recht mutig, auf ein Alter hinzuweisen, das im Showbiz für Frauen längst jenseits der Methusalemgrenze rangiert. Doch der Gerontenpreis am Bande bleibt dem quirligen Temperamentbündel auch weiterhin erspart. Stattdessen serviert sie eine klassische, echte Liedermacherscheibe mit souveränem "Brigitte"-Pop und Tom Petty-Rock-Einschlag zu sprachlich gelungenen deutschen Texten.
Als Gralshüterin der niederdeutschen Sprache, Moderatorin und Kabarettistin kennt nahezu jedes norddeutsche Kind diesen blonden Vulkan. Spätestens als Gaststar bei Jools Holland hat sie sich mit "Übers Meer" selbst auf den Schild ganz großer Interpreten gehoben und den Engländern nebenher den großen Rio Reiser nahe gebracht. Auf "48" hört man beide Elemente heraus. Sowohl das nordische Naturell ("Fünf Schwestern") als auch die gereifte internationale Klasse geben sich die musikalische Klinke in die Hand.
Trendy klingt die Musik nicht eine Sekunde. Eher nach handgemachtem Entertainment ganz alter Schule. Ein Anbiedern an den Zeitgeist oder die Jugend kann man ihr wahrlich nicht vorwerfen. Besonders die Midtempo-Tracks werden sicherlich eher Fans von BAP ansprechen als die ganz junge Generation. Hinzu tritt ein nicht gerade geringes Maß an Eingängigkeit.
Gleichwohl langweilt die Platte nicht ein bisschen, sondern funktioniert prächtig als Lehrstück in Sachen Gassenhauerei. Das liegt vor allem in der fürs Genre nahezu perfekten Wahl der Arrangements und dem hochemotionalen Ausdruck in der gesanglichen Darbietung Müllers. Sie bringt die organische Prise Schweiß, Mutterwitz und Charisma mit, für die kreativ untote Kolleginnen wie Andrea Berg oder Nena morden würden.
Die Lebendigkeit der Lieder mag auch daher rühren, dass hier kein schleimiges Marketingkonzept abgespult wird. Stattdessen entstand der Großteil des Albums am Müllerschen Küchentisch mit befreundeten Musikern und dem alten Kumpel Frank Ramond. Ohne den in Istanbul geborenen Text-Tausendsassa scheint in Deutschlands Popwelt nichts mehr zu gehen. Doch der lyrische Timbaland-Effekt - alle klingen auf einmal gleich - bleibt der Müllerin erspart. Kein Zeilenaufguss von Ramond-Kunden wie Lindenberg oder Louisan. Ina Müller klingt genau so, wie ihr der Schnabel auch sonst gewachsen ist.
Sie möchte mit dieser Scheibe ein Zeichen dagegen setzen, "dass Frauen in meinem Alter nur noch als Mutti oder kaltherzige Karrieretante" wahrgenommen werden. Das gelingt spielend. Das leicht Kratzende ihres Organs ist dabei ihr größter Verbündeter. So klappt es bei den (selbst-) ironischen Tracks ("Schuhe") genau so gut wie bei rockballadesker Romantik fürs Stadion ("Nach Hause").
Das Genre intelligenter Frauenzeitschriftsmucke kann man mithin kaum lässiger bedienen als Müller es hier vorführt. Letzten Endes fehlt nur ein Quäntchen ihres Gefühlskanons zur Höchstwertung. Das totale Drama samt eingeflochtener nahezu chansonesker Tragik, wie es Holland aus der Cuxhavenerin herausholte, fehlt nämlich leider.
© Laut