Die Toten können tanzen. Die Lebenden auch. Um sie in Trance zu versetzen, wenden sich Lisa Gerrard und Brendan Perry nach sechsjähriger Abwesenheit und zwei Blitzbesuchen in der Unterwelt an Dionysos. Das Duo aus Melbourne, das in den Dark Wave-Zeiten von Bauhaus oder Cocteau Twins bei 4AD angefangen hatte, ging 1998 getrennte Wege, machte dann aber 2012 mit dem treffend genannten Anastasis (Wiederauferstehung auf Griechisch) erneut eine Platte. Sechzehn wortkarge Jahre also. Mit Dionysus wird die DCD-Formel leicht abgeändert: liturgische Bittgebete weichen traditionellen Streichern und Perkussionsinstrumenten aus alten Zeiten, der auf ein Minimum reduzierte Gesang der beiden stellt stattdessen Chöre in den Mittelpunkt. Das wirklich Besondere an diesem 11. Album liegt eigentlich in seiner Gestaltung. Dionysus, das erste Konzeptalbum des Duos, funktioniert eher wie ein Theaterstück, ein Diptychon in Form eines Zweiakters in sieben Sätzen. Anhand mystischer, mehr als sechzehn Minuten langer, instrumentaler Experimente befassen sich die beiden mit den dem griechischen Gott der Ekstase gewidmeten, regionalen Traditionen europäischer Völker. Perry: „Ich wollte Dionysus in arrangierter Form präsentieren, wie ein Oratorium im klassischen Format, weil ich sicher sein wollte, dass es den Leuten gefällt und sie es von Anfang bis Ende anhören.“ Akt I beginnt mit einem Meeresritual und geht nach etwa sechzehn Minuten mit Bacchanalien zu Ende. Darauf folgt der 19-minütige Akt II, zuerst mit The Mountain, in dem sich orientalische und europäische Flötenklänge und eine Schafsherde aus einem Field-Recording vermischen. Den Abschluss bildet Psychobomp. Ununterbrochen hört man inspirierte Beschwörungsformeln, von Vogelgezwitscher imitierenden Pfeifen getragene Melodien und eine Reihe folkloristischer Instrumente. Alles zusammen ergibt ein naturalistisches Fresko rund um den Bacchus-Mythos. Mystisch. © Charlotte Saintoin/Qobuz