Auf dem Nebengleis brachte Udo Dirkschneider zuletzt die Formation DIRKSCHNEIDER mit Anklängen an alte Accept-Tage in Stellung. Mit U.D.O. gab es in den letzten fünf Jahren zwei Studioalben. Trotzdem kann man die neue Platte "Steelfactory" als kreatives Comeback betrachten. Nach dem zuletzt eher müde wirkenden "Decadent" läutet diese Edelstahlfabrik den dritten Metalfrühling des Urgesteins ein.
Gesang und Naturell der Lieder klingen einmal mehr, als vögelten Judas Priest mit AC/DC. Böse Zungen behaupten ja, U.D.O. verhielten sich zu diesen in etwa wie Peter Maffay zu Bruce Springsteen. Entsprechend oft wurde übersehen, welch talentierter Songwriter Dirkschneider in guten Momenten ist und dass er kein Epigone ist, sondern schlichtweg zur selben Gattung echter Pioniere zählt. Erfreulicherweise knüpft "Steelfactory" qualitativ dort an, wo U.D.O.s stärkstes Album "Faceless World" 1990 seine Duftmarke setzte. Die Melodien sind hier ähnlich stark ausgeprägt, verfügen aber über mehr klassische Heavy Metal-Härte.
Handwerklich feuert die Band aus allen Rohren. Udos Sohn Sven Dirkschneider erweist sich als Glücksgriff an den Drums. Nicht gerade filigran aber genau mit jener Portion frischen Drucks, die das Flaggschiff dringend benötigte, legt er ein kraftvolles Fundament. Entsprechendes gilt für Andrey Smirnoffs Gitarrenarbeit. Entfesselt und leidenschaftlich bietet er die mitreißendste Vorstellung seit seinem Bandeintritt. Vom stampfender Rhythmusklopperei bis zum elegant gleitenden Solo untermalt er sämtliche Stücke mit vielseitigen Sounds. Besonders seine Soli transportieren jenem klassischen Metal-Spirit, den bereits Vinnie Moore in den 80ern auf seinem Meisterwerk "Mind's Eye" kultivierte. Das gelegentlich angedeutete Pathos osteuropäischer Musiksozialisation passt ergänzend gut ins Bild.
Dirkschneider selbst zeigt keinerlei Alterserscheinungen. Obwohl er schnurstracks auf die 70 marschiert, knurrt, geifert, keift und raspelt sich der "German Metal Tank" als tollwütiges Getier durch 13 Hymnen. Dramaturgisch federt er seine bestialische Seite gekonnt mittels Sprechgesang ab. Dieser Jekyll/Hyde-Wechsel verhindert Eintönigkeit und verleiht manchen Nummern einen ansprechenden Storyteller-Duktus.
Die von Jacob Hansen (u.A. Doro, Volbeat) sehr genretypisch produzierten Tracks gehören zum Besten, was die Band in gut 30 Jahren aufnahm. Einprägsame Refrains und straighter Aufbau vermitteln den Eindruck als handele es sich um eine Ansammlung sehr gelungener Singles. Als besonderen Clou veredeln U.D.O. die Lieder mit allerlei überraschenden Elementen. So streuen sie in "Keeper Of My Soul" eine kaukasisch anmutende Spielerei ein. "Raise The Game" setzt dagegen auf angedeutete Orientalismen. Spätestens beim zitierten "La Cumparsita"-Tango in "Blood On Fire" kann man sich ein anerkennendes Schmunzeln kaum verkneifen.
Sicher, mitunter übertreiben sie es ein wenig. mit der Priest/AC/DC-Karte. "Hungry and Angry" ist zweifellos der Bastard einer Kreuzung aus "Turbo Lover" und "Stiff Upper Lip". Dank der süffisante, nahezu sarkastischen Note in den Strophen überwiegt dennoch die Individualität. Am Ende des wilden Ritts wartet die obligatorische Ballade "The Way". Hier ist es erneut Smirnoff, dessen sinnliches Arrangement ein wohliges Feuerzeug-Gefühl beschert. Unbedingte Kaufempfehlung für eine der Oldschool-Platten des Jahres.
© Laut