Konstantin Wecker hört man nicht einfach nur nebenher. Einem neuen Album aus dem Hause des ewig rebellischen Liedermachers aus München begegnet man auch nicht mit herkömmlichem Rezensionshandwerk. Pompöse Soundlandschaften, bezaubernde Melodien und sich dynamisch aufplusternde Klangatmosphären spielen unter dem Wecker-Banner keine große Rolle. Was hier zählt, sind die Kraft des Wortes, die Magie des bildlichen Umschreibens und der niemals ermüdende Wille, etwas zu verändern.
Dieses magische Dreieck verzückt auch im Sommer 2021 wieder zahlreiche Fans des Sängers und Poeten. Zusammen mit seinem Klavier wettert Wecker gegen die Realität im Hier und Jetzt. Was in Zeiten von Hoffnungslosigkeit, Gier und Angst nur noch helfen kann, ist die Flucht in Fantasiewelten.
"Utopia", so der Titel des neuen Wecker-Werks, skizziert eine Welt, fernab der Realität, in der es sich wahrhaftig lohnt, zu leben. "Alle leben nur im Jetzt, ohne Ehrgeiz, ohne Hetz", singt Wecker im Titeltrack, während das positiv gestimmte Klavierthema rhythmisch tanzt.
Wer in der Lage ist, sich und seine Gedanken für die Dauer einer Stunde komplett runterzufahren, der taucht ein in eine Welt "ohne Herrschaft und Gehorsam". Konstantin Wecker nimmt den Träumer an die Hand flüstert ihm in Reimform das Blaue vom Himmel ins Ohr. "Immer wenn ich zerbrechlich war, konnte ich wachsen / Immer wenn ich mich vollendet fühlte, erstarrte ich", outet sich Wecker als Fan und Supporter der vermeintlich Schwachen ("Es Lebe die Zerbrechlichkeit").
Der Liedermacher pendelt zwischen Gedicht und Musikstück. Begleitet von marschierenden Snareschlägen geht Wecker auf die Barrikaden ("Es Gibt Kein Recht Auf Gehorsam"). Wecker ärgert sich über Machtbesessenheit auf der einen und Gleichgültigkeit auf der anderen Seite ("Was Mich Wütend Macht").
Natürlich gibt es auch wieder Neues von, mit und über Willy zu berichten ("Willy 2021"). Diesmal erinnert Wecker mit brüchiger Stimme an den 19. Februar 2020. An diesem Tag machte sinnloses, rassistisch motiviertes Morden in Hanau weltweit Schlagzeilen. Knapp neun Minuten ringt Konstantin Wecker um Fassung.
Mord, Totschlag, Gewalt und gesellschaftliche Ungerechtigkeiten gehen dem engagierten Musiker schon seit 1977 gegen den Strich. In "Utopia" wird all diesen Dämonen der Einlass verwehrt. Und das ist auch gut so.
Eine schöne Vorstellung von einem friedvollen Miteinander, ohne Schattenseiten und ohne Gräuel: Konstantin Wecker macht Hoffnung, wenn auch nur in der Fantasie. Dafür sollte man ihm dankbar sein. In Zeiten wie diesen braucht es mehr solcher Leute, die einfach aussprechen, was (hoffentlich) viele denken.
© Laut