Wo ist die Zukunft? Das fragt die VNV Nation in unseren aus Umbruch und Verunsicherung gespeisten Zeiten. "Where Is The Future" startet fünf Sekunden lang als Hommage in Richtung Kraftwerk und zündet dann als individuelle Melodiebombe. Der Kraftwerk-Bezug der Single vom neuen VNV Nation-Album "Noire" ist einerseits Anerkennung der Vergangenheit, aber auch Symbol für Futurismus und Neuaufbruch.
Die Widersprüchlickkeit von "Noire" rangiert auf derselben Ebene. Einerseits schraubt Ronan Harris das Album eklektisch aus althergebrachten Versatzstücken zusammen, die für sich genommen nicht gerade innovativ anmuten. Andererseits verknüpft er diese Elemente aus Darkwave, Elektro-/Futurepop, Ambient, EBM und Klassik sehr geschickt miteinander und erzielt damit eine im Genre selten aufblitzende, höchst souveräne Dramatik.
Ein Teil der Zeitlosigkeit des Sounds liegt in seiner Eleganz begründet. Atmosphäre und Fingerspitzengefühl stehen im Vordergrund, die Techno-Beats erscheinen nie als Selbstzweck, sondern erfüllen ausnahmslos eine songdienliche Funktion ("Immersed"). Ambient-Passagen verschmelzen mit sphärischem Darkpop ("Collide"). Sogar die Klassik-Karte spielt Harris auf der puristischen Pianominiatur "Nocturne No 7" so lässig aus, dass Einaudi-, Liszt- oder Chopin-Freunde Spaß hätten.
"A prophet like a killer on the run!" - die hochwertigen Texte erfüllen ihren Zweck. Harris drückt sich in starken sprachlichen Bildern aus, die in Zusammenhang mit den teils treibenden, teils mäandernden Melodien in ihren stärksten Augenblicken eine nahezu suggestive Sogwirkung entwickeln. Hier trifft Utopie auf Dystopie, Finsternis ringt mit Licht und destruktiver Aberglaube kämpft mit konstruktivem Spirit. Inmitten dieses Sturms beschwört Harris die romantische Liebe als Keimzelle des Guten, deren Fackel die Nacht erhellt ("Armour").
Ob schneller oder getragener Track: Melancholie säumt jedes Lied als schwarze Naht. Den Löwenanteil dieser Grundstimmung transportiert Harris über seine Gesangslinien. Besonders bei eingängigen Stücken wie dem schicken Ohrwurm "Lights Go Out" funktioniert Harris gedimmter, dabei ungekünstelter Tonfall als effektives Kontrastmittel. Auch songwriterisch liegen diese 13 Nummern bis zum finalen Doppelschlag "Requiem For Wires/All Our Sins" weit über dem Szene-Durchschnitt. "Could we learn from the past? For all of our sins had tormented last."
© Laut