Zwanzig Jahre russischer Klaviermusik: Das bietet uns hier der junge Pianist Jean-Paul Gasparian auf seinem ersten – sehr bemerkenswerten – diskografischen Werk. Gasparian beginnt im Jahr 1897 mit der Zweiten Sonate von Skrjabin (auch Sonata-Fantasie), die noch sehr an Chopin erinnert, in der jedoch die harmonischen Zweideutigkeiten, die der mystische Komponist liebt, bereits anklingen. Darauf folgt eine weitere Zweite Sonate diesmal von Prokofjew aus dem Jahr 1912 – in der ein „motorischer“, wilder Aspekt sehr zum Tragen kommt. Dem Pianisten gelingt es geschickt, den brutalen Aspekt des Werkes nicht zu stark zu betonen, und vermeidet es sorgfältig, die Aussage durch unnütze Pedaleffekte verschwimmen zu lassen. Im gleichen Jahr, 1912, schrieb Skrjabin seine Trois Études Op. 65im Stil höchster Reife, den man aus Le Poème de l’extase kennt: Auch hier entscheidet sich der Solist für Transparenz und ermöglicht dadurch dem Zuhörer den harmonischen und thematischen Aussagen wirklich zu folgen – falls man diese zerrissenen Abschnitte, diese aneinandergereihten Bruchstücke, diese wilden Ausfälligkeiten, die wie Aufrufe zur musikalischen Revolte anmuten, überhaupt noch Themen nennen kann. Das Album schließt mit den neun Études-tableaux Op. 39von Rachmaninow aus dem Jahr 1917, in denen sich technische Etüden mit bewusst unscharfer, suggestiver Kunst vermengen: Rachmaninow schreibt keinerlei Programm vor und überlässt es dem Hörer wie auch dem Pianisten, sich im Rahmen dessen, was der Komponist vorschlägt, sein eigenes Bild zu machen. Natürlich wird der Aspekt Toteninsel in der zweiten Etüde deutlich, besonders durch das unaufhörliche Heraufbeschwören einiger Fetzen des Dies irae… Jedenfalls heißen wir Gasparian auf der großen europäischen Bühne willkommen, der erst kürzlich spontan für Zacharias in Deutschland eingesprungen ist, und dessen Karriere sich rasch und sicher entfaltet. © Marc Trautmann/Qobuz