Kaum 30 Jahre trennen diese drei Werke für Solo-Violine und doch, was für ein erstaunlicher Kontrast. Die Sonate von Prokofjew, aus dem Jahr 1947 war als didaktische Übung für angehende Geiger gedacht – angesichts der Schwierigkeiten der Partitur jedoch von einem beachtlichem Niveau. Der Komponist hat sie übrigens nie im Konzert gehört. Die herbe und ernste Sonate von Bartók ist das Ergebnis eines Auftrages von Menuhin beim Komponisten im Jahr 1944, ein Jahr vor seinem Tod. Bartók hatte wenigstens das Vergnügen, der Uraufführung seines Werkes in der Carnegie Hall durch den Widmungsträger beizuwohnen, der vor der fast unüberwindbaren Komplexität des Werkes eine Zeitlang gezögert hatte. Die Sonaten von Ysaÿe schließlich gehören zu einem Zyklus von sechs Sonaten, die jeweils einem großen Geiger seiner Zeit gewidmet sind: Szigeti, Thibaud, Enescu, Kreisler, Crickboom und Quiroga. Franziska Pietsch (geb. 1969) trägt uns hier die Zweite und die Dritte Sonate, die von Thibaud und Enescu vor. Pietsch wurde noch unter der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland geboren, konnte aber 1986 das Land verlassen, um ihr Leben im „Westen“ weiterzuführen, zuerst in Hannover und dann in New York, wo sie unter anderem bei Ruggiero Ricci studierte – derselbe, der 1959 Prokofjews Sonate uraufgeführt hatte! Man beachte den Namen des ersten Satzes der Thibaud gewidmeten Sonate, „Obsession“, der auf die Besessenheit des musikalischen Diskurses anspielt, ständig zu Bachs Partita in E-Dur einerseits und zum Thema "Dies irae" andererseits zurückzukehren. Wendungen von "Dies irae" sind durchgehend in den vier Sätzen zu finden – ein schelmisches Augenzwinkern des Komponisten. Die Dritte Sonate für Enescu dauert nur sieben kurze Minuten, eine weitläufige und elegische „Ballade“. Wer meint, das die Solovioline des 20. Jahrhunderts etwas schwierig anzuhören ist, sollte sich die feurigen und klangvollen Interpretationen von Pietsch anhören: ein ganzes Orchester auf einer einzigen Geige. © SM/Qobuz