Keine andere Oper von Händel ist so voller Rätsel wie Silla. Diese vierte Londoner Oper wurde 1713 komponiert. Und das ist schon alles, was man mit Sicherheit weiß! Das Autogramm und die handschriftlichen Noten sind unvollständig und wir haben keine Hinweise auf eine zeitgenössische Aufführung. Die ersten Händel-Spezialisten haben nach einer Erklärung hierfür gesucht und waren schließlich der Meinung, dass Silla für eine private Aufführung beim Earl of Burlington, dem damaligen Mäzen des Komponisten, geschrieben wurde. Dann wurde 1969 ein Libretto von 1713 entdeckt, mit dem Hinweis auf ein mögliches Datum der Erstaufführung. Eine ausgefallene Widmung an den Duc D’Aumont, der kurz zuvor zum französischen Botschafter ernannt wurde, lässt auf eine Aufführung schließen, die vom oder für den Duc organisiert wurde. Das würde nicht nur das Fehlen einer englischen Übersetzung im Libretto erklären, in Bezug auf Händels Londoner Opern einmalig, sondern auch die relativ kurze Dauer des Werkes. Es bleiben aber noch ungeklärte Fragen. D’Aumont war eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in London und es ist unwahrscheinlich, dass eine solche Initiative von der Londoner Presse übergangen oder von D’Aumont in seinen eigenen Niederschriften vergessen wurde. Wurde Silla 1713 aufgeführt? Das Urteil kann noch nicht gefällt werden. Zur Oper selbst gibt es auch noch Fragen, insbesondere zur Wahl des Stoffes. Es ist tatsächlich eine der wenigen historischen Opern von Händel, die sich für das Lebensende des Lucius Cornelius Sulla nach den Erzählungen des Plutarch interessiert: nachdem er die Herrschaft über Rom an sich gerissen hatte, ließ dieser Konsul, zu einem absoluten Despoten geworden, seine Feinde skrupellos ermorden. Schließlich zog er sich, ebenso überraschend wie unwahrscheinlich, auf seinen Landsitz zurück, um seinen Hobbies nachzugehen. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass diese Handlung zu einer Oper passt, die vermutlich anlässlich des Gedächtnisses an irgendein Ereignis komponiert wurde: Die Spezialisten habe sich sehr um Antworten auf diese Frage bemüht und manche suchen nach einem allegorischen Zusammenhang. Neben der Handlung waren Qualität und Sinngehalt des Textbuches auch wichtige Kritikpunkte. Die Musik ist maßgeblich von den italienischen Kantaten aus der Jugendzeit des Komponisten inspiriert. Interessant ist dabei, dass sich der Schreibstil zu einem bestimmten Maß auf seine letzte historische Oper, Agrippina, zurückgeht. Wenn auch die Absurdität des Librettos diese Oper nicht gerade für einen Platz in den Reihen des großen Opernrepertoires prädestiniert, so enthält Silla doch einige musikalische Kostbarkeiten. Es sei auch daran erinnert, dass Händel selbst dieses Werk genügend schätzte, um einen bedeutenden Teil davon in seiner nächsten Oper Amadigi di Gaula wiederzuverwenden. © SM/Qobuz